Beuys tanzt mit Dionyseus

Die endlose Vernissage: Wie in Räumen wie der Forgotten Bar Ausstellungs- und Clubbesuch zusammenwachsen

Der Tagesspiegel, 13. Dezember 2009

Als Gregor Schneider 2007 zu einer Kunstaktion ins Magazin der Staatsoper lud und dort nichts zu sehen war außer den Gästen selbst, sorgte das für schlechte Laune. Weniger aus dem Grund, dass sich der Kunstbetrieb vorgeführt fühlte. Eher weil die Aktion so furchtbar überflüssig war. Denn dass das Beste an einer Kunstausstellung die Vernissage ist, das muss man doch keinem mehr erzählen.

Denn sind die Scherben erst aufgekehrt, der Boden gewischt, die Installationen wieder zurechtgebogen, zieht der Alltag ein. Dann versuchen Galeriemitarbeiter hinter klinisch weißen Möbeln mühsam, sich auf die Telefonate mit Sammlern und Versicherungen zu konzentrieren, während die immer gleiche Videoarbeit im Loop vor sich hinlärmt, wochenlang.

Wenn doch jeden Tag Vernissage wäre!

Der zurzeit vielleicht spannendste Kunstort in Berlin ist ein kleiner Ladenraum im Kreuzberger Gräfekiez. Hier wird das Konzept Kunstausstellung torpediert: täglich eine neue. Jonathan Meese, Christian Jankowski, Thomas Scheibitz – es scheint, als sei tout berlin durch diesen Durchlauferhitzer namens Forgotten Bar geschleust worden, in dem allabendlich die Kreuzberger Künstlerszene zum Bier zusammenkommt und wochenends bis in den Morgen feiert. Viele der Ausstellenden leben in der Nähe.

Ausgerechnet Maike Cruse, ehemals Pressesprecherin der Kunstwerke und jetzt der Art Basel, schuf den neuen Brennpunkt. Mit Künstler Tjorg Douglas Beer gründete sie im April 2007 die „Galerie im Regierungsviertel“: ein Glaskasten, 70 mal 90 mal 25 Zentimeter groß, platziert zwischen Reichstag und Bundespressekonferenz, gefüllt mit Kunst. Das Raumschiff war gelandet. Cruse und Beer zeigten ihre „Lightbox“ in Venedig, luden auf der Art Basel in eine geheime Bar hinter einer Kojenwand und installierten eine Gruppenausstellung mit Olaf Metzel und Monica Bonvicini im Frachtaufzug des ehemaligen Chelsea Art Museum in New York.

Die Forgotten Bar mit ihren oft heillos überfrachteten Gruppenausstellungen ist eine offene Inszenierung, bei der die Kunst nicht am Bilderrahmen endet. „Wir hauen die Sachen an die Wand!“, ruft Beer. „Und wenn wir die zusammenknüllen und unterm Arm mit nach Hause nehmen, ist das auch gut!“ Beer, der die Bar inzwischen ohne Cruse betreibt, will die Arbeit auf das Grundlegende zurückführen. Es gehe um die „Rückeroberung der Kunst von Kuratoren und Kommerz“. Und was sagt der Kunstbetrieb? Der liebt es. Den Sommer über drängten sich die Gäste auf dem Bürgersteig der Boppstraße, während des Art Forums war die Forgotten Bar der Geheimtipp. Wobei für den Flurschlauch paradoxerweise vor allem spricht, dass er ein ausgesprochen ungeeigneter Raum für Kunstausstellungen ist. Man ist im Gedränge geradezu gezwungen, will man nur die Künstlernamen erkennen, mit Bleistift auf die rohen Dämmplatten gekritzelt, mit anderen in Kontakt zu treten: Verzeihung, könntest du kurz einen Schritt ...? Danke. Ah, ja: Saâdane Afif.

„Wer braucht eine Kunsthalle, wenn er solche Bars hat?“, fragte Niklas Maak schon letztes Jahr in der „FAZ“, und kürzlich forderte er mit Blick auf die Kunsthallen-Debatte: „Fort mit dem weißen Karton“. Architektonisch saubere Lösungen für Kunstpräsentation gibt es ja auch wirklich genug. Höchste Zeit für das Sperrige, Unpraktische, Unvergessliche. Die Forgotten Bar ist nicht der einzige Ort, an dem zurzeit neue Formen der Kunsterfahrung erprobt werden.

Unter dem Namen „Tape Modern“ öffnet etwa der Tape Club gelegentlich seine zweite Halle für Installationen aus Foto, Malerei und Skulptur von jungen Künstlern, mit Themen der Nacht. Im Publikum mischen sich Clubgänger mit Kunstkennern, die von den Vernissagen nebenan in der Halle am Wasser kommen. Auch das Stadtbad Wedding bringt Clubnacht und Kunstausstellung zusammen. In der Torstraße präsentiert das Bordel des Arts jeden Donnerstag Künstler im Rahmen einer Party. Und Tresor-Betreiber Dimitri Hegemann ist seit drei Jahren auf Geldsuche, um aus der gewaltigen Turbinenhalle des alten Heizkraftwerks Mitte eine Berliner Antwort auf die Londoner Tate Modern zu machen.

Künstler und Publikum wollen offenbar immer weniger trennen zwischen Kunstausstellung und Clubbesuch. Das Berghain, mit Lesungen und Tanzaufführungen inzwischen ein multipler Kulturgenerator, schaffte es im Oktober auf die Titelseite der „art“. Seit der Eröffnung prangen Bilder von Wolfgang Tilmanns über der Tanzfläche. Eine monumentale Schwarz-Weiß-Zeichnung von Piotr Nathan füllt die Wand der Eingangshalle mit mythischen Katastrophenszenarien. Titel: „Rituale des Verschwindens“. Das eindrucksvolle Bild empfiehlt sich als Ikone eines Trends, in dem Werk und Betrachter verschmelzen, unter der Patenschaft von Beuys („Jeder Mensch ist ein Künstler“) und Dionyseus.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem hier getanzt wird. Leicht kann die Kunst zur Deko werden. Doch bietet sich dem Club hier der Ausweg aus dem leerlaufenden Kreislauf von DJ-Bookings – und der Kunst von Messeterminen und Sammler- Diners. Für alle unwiederholbar treten die Feiernden den Werken nicht in andächtigem Staunen gegenüber, sondern dürfen sich als Teil einer sozialen Skulptur verstehen, in der jeder zum Produzenten wird.

„Kunst hat einen sozialen Gebrauchswert“, betont Manuel Czech. „Sie wirkt auf den Menschen zurück. Eine völlig autonome Kunst wäre auch total entmenschlicht.“ Czech hat vor kurzem in den Räumen der Maria am Ufer den Jesus Club eröffnet. Einer der exklusivsten Orte für jene, die des blinden Feierns müde sind. Dreimal die Woche ist dort experimentelle Musik zu erleben, Kunst und Performances. In Klangschlaufen und närrischen Tanzaufführungen vollzieht sich der Abschied von einer auf Höhepunkte zielenden Dramaturgie. Das wirkt ungemein erholsam. Und öffnend. So sehr, dass auch hoch dotierte Klangkünstler wie Carsten Nicolai für Minimalgage spielen.

An der Wand hängen Collagen von Hannah Dougherty: Narrenmuster, Wolken und Löwen im Stil alter Kinderbuchillustrationen. Eins ihrer Gartenhäuser, die sie sonst für 45 000 Euro verkauft, steht frei herum, zur Aneignung durch Künstler und Publikum. Niemand kann garantieren, dass es ohne Wein- und Essensflecken in den Kunstmarkt zurückkehrt. „Wir wollen künstlerische Produkte darstellen, die nie ganz fertig sind“, sagt Czech. „Und die dadurch bearbeitet werden, dass der Besucher Teil des Kunstwerks ist.“

In der Forgotten Bar hat Dougherty natürlich auch schon ausgestellt. Über dreißig Künstler wird Tjorg Beer dort kommenden Freitag mal wieder zusammenkloppen. Am nächsten Tag gibt’s Essen für alle. Und im Januar klappt es vielleicht endlich mal mit der lange geplanten Ausstellung mit den Kindern vom Islamischen Zentrum nebenan. Die Töchter des Saftverkäufers brachten schon mal ihre Werke: Skulpturen aus Papier, Pappbechern und Alufolie in Schuhkartons.

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