Der Lichtschneider

Matthias Mansens Holzschnitte sind zugleich Bilder und Dokumente ihres Herstellungsprozesses.

Der Tagesspiegel, 30. Juli 2007

Wie der Beruf eines Menschen ihn in seinen täglichen Verrichtungen prägt, zeigt sich in Matthias Mansens Fall beim Kuchenessen. Den Streuselkuchen, der anderen Essern bei jedem Bearbeitungsversuch vom Teller springen würde, zerlegt der Holzschnittkünstler mit Gabel und Löffel routiniert und zuverlässig und ohne größeres Krümelaufkommen. Der tägliche Umgang mit Stechbeitel und Hohleisen ist nicht zu übersehen.

Matthias Mansen ist gerade vom Segelurlaub zurückgekommen. Auf der Ostsee hat er sich von der Vorbereitung seiner Ausstellung "Land und See" in der Hamburger Kunsthalle erholt. Das Reisegepäck steht noch im Atelier, die Fenster sind geöffnet, ein frischer Wind weht um den Backsteinbau in Tiergarten, als hätte Mansen die Ostseestimmung mitgebracht.

Der Endvierziger wirkt entspannt, doch tat er das eigentlich auch schon bei der Ausstellungseröffnung in Hamburg. Ein großer, schlanker Mann mit grauem Haar und markanten, aber feinen Zügen führte dort geduldig durch das Kupferstichkabinett, lachte gerne und beantwortete mit sanfter Stimme gelassen jede Frage. Mansen ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, ein geduldiger Arbeiter, der Widerstände schätzt, an denen er sich abarbeiten kann. Holz zum Beispiel.

Als er Anfang der achtziger Jahre bei Georg Baselitz und Markus Lüpertz in Karlsruhe studierte, war Mansen unzufrieden mit der Malerei – mit seiner eigenen wie der "Neuen Malerei" im Ganzen. Anekdotisch überfrachtet sei damals alles gewesen, ähnlich wie auch heute wieder. Als Künstlersohn war die Aufgabe besonders drängend, zu einer eigenen Ausdrucksform zu finden. Bei der Gestaltung von Großplakaten für die Akademie stieß er auf die Holzschnitttechnik. Hier hatte er seinen Raum gefunden.

Nachdem der Holzschnitt in der Renaissance mit Albrecht Dürer seine erste Blütezeit hatte, waren es Paul Gauguin, Edvard Munch und die Expressionisten, die den Holzschnitt als künstlerisches Ausdrucksmittel wiederentdeckten. Ihre Arbeiten machten sich oft die direkte bis brachiale Wirkung des Drucks zunutze, wie auch heute etwa Felix Droese oder Gustav Kluge.

Matthias Mansens Kunst ist ruhiger. Die Darstellung oder Erregung von Emotionen interessiert ihn nicht besonders. "Ich bin ein physischer Mensch", sagt er, "ich kann nicht sitzen und nachdenken." Er entwirft immer im Zusammenspiel von Kopf und Hand. Mansen abstrahiert, erzeugt Räumlichkeit, hinterfragt Wahrnehmungsvorgänge. Kommen bei ihm Figuren vor, dann meist als bloße Formen, die aus dem Hintergrund heraustreten. In der Arbeit "Badende", in enger Auseinandersetzung mit Munch entstanden, überlagern sich die Strukturen von Himmel, Wellen und Strand mit roten, gelben und sepiafarbenen Gestalten, die so zum Teil der Landschaft werden.

Fast immer sind Mansens Motive aus mehreren Druckstöcken zusammengesetzt. Das Material für die Stöcke findet der Künstler auf der Straße: Bauholz, Möbelteile, alte Planken. Zunächst färbt er die Fläche schwarz, dann sticht und schneidet er hinein, mit Stechbeitel, Hohleisen oder Messer. "Ich schneide keine Linien", sagt er, "ich schneide Licht." Nach und nach schält sich das Motiv heraus. "Ich bin zugleich Agierender und Beobachter."

Sind die Druckstöcke fertig, ordnet Mansen sie auf seinem Werktisch an, färbt sie mit Ölfarbe, legt das Papier darauf und streicht mit einem Reiber darüber, damit es die Farbe aufnimmt. Schicht für Schicht entstehen so Werke, die zugleich Bilder sind und Dokumente ihres Herstellungsprozesses.

Das Drucken mit Stöcken gleiche einer Choreographie, findet Mansen, einem szenischen Vorgang, der sich in der Bildbetrachtung fortsetzt. Das Motiv ist nicht direkt ablesbar, muss im Kopf zusammengesetzt werden. "Ich schaffe eine offene Erzählung." Wie in der Arbeit "Birken": Auf vier Bildern nähert sich der Blick einem Baum am Wegrand. Doch auch im letzten Bild, das von der Rindenstruktur überlagert ist, scheint noch das erste durch – die Perspektiven werden addiert, und während das Motiv näher rückt, wird seine einheitliche Erfassung immer schwieriger.

Die Entschleunigung des Gestaltungsprozesses beim Holzschneiden hat Matthias Mansen einmal mit dem allmählichen Abbremsen einer Schallplatte verglichen. So lässt sich auch die Wirkung beschreiben, die seine Kunst auf die Wahrnehmung ausübt. Wie das Segelschiff einen autarken Kosmos bildet, in dem man auf Natur und Besatzung angewiesen ist, so stellt auch der Holzschnitt eine Reduktion der Möglichkeiten dar und verlangt klare Entscheidungen, wie die Bildhauerei. Der Maler kann Fehler überpinseln, der Holzschneider nicht. Das gefällt Mansen besonders: "Der Zweifel wird produktiv." Zwar nennt er seine Arbeit einen "Dialog mit der Malerei". Von ihr sei er stärker beeinflusst als von der Holzschnittkunst. Doch führt er diesen Dialog mit eigenen Mitteln.

Dafür wird er international geschätzt. In den achtziger Jahren hatte er Ateliers in London und Paris, anschließend lebte er fünf Jahre lang in New York. Im Moma hängt seine Arbeit "Mann, aufstehend von einem Stuhl". Die National Gallery in Washington besitzt einige große Arbeiten, in Boston und Baltimore sind Schnitte zu sehen. Als sich die Frage stellte, ob er endgültig auswandern sollte, kehrte Mansen jedoch nach Berlin zurück, wo einst seine ersten eigenständigen Arbeiten entstanden waren. "Hier hatte ich eher das Gefühl, meine Sache verfolgen zu können." Auch persönliche Kontakte zogen ihn zurück, wie zum Galeristen Wolfgang Wittrock, der Mansen von Anfang an begleitet hatte und mit dem ihn inzwischen eine Freundschaft verbindet. Bei einem längeren Aufenthalt in Wittrocks Haus in Zermützel entdeckte Mansen die Landschaft als Motiv, die er bisher gemieden hatte, weil er Gegenstände gerne in Originalgröße abbildet. Doch die norddeutsche Klarheit regte den Künstler zu einer Serie an, die den Grundstein für die Landschaftsbilder legte, die nun in Hamburg zu sehen sind.

Einen Abschluss bildet die "Tiergarten"-Serie. Den Park durchquert Mansen täglich auf dem Weg ins Atelier. Ein Jahr lang hat er für seinen großformatigen Jahreszeitenzyklus die Strukturen und Farben der Pflanzen beobachtet und in eine wunderbare Abfolge aus Sepia und Hellblau über Grün und gelb bis Ocker und Orange verwandelt. Eine Variation beherrscht als schwarz-weißer Fries das Treppenhaus der Kunsthalle. Momentan arbeitet Mansen noch an einem Künstlerbuch mit Gedichten. Und wartet ab, was als Nächstes kommt. "Meistens bereitet sich da schon im Hintergrund etwas vor." Man müsse nur hinhorchen.

Einmal hat Matthias Mansen die Fassung verloren, was sonst nicht seine Art ist. In seiner ersten Berliner Wohnung war das, als er die Möbel des verstorbenen Vormieters nicht loswurde. Mit der Axt verwandelte er sie in Druckstöcke.

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