Stell die Verbindung her

Früher wollten junge Leute DJ werden. Der Trendjob heute: Kurator. Über eine zentrale Figur des Kulturbetriebs

Der Tagesspiegel, 15. Juli 2011

"Immer mehr neigen Ausstellungen dazu, nicht mehr Ausstellungen von Kunstwerken zu sein, sondern sich selbst als Kunstwerk auszustellen", schrieb Konzeptkünstler Daniel Buren 1972 im Katalog der Documenta 5. Die Angst der Künstler, von Kuratoren überflüssig gemacht zu werden, ist also schon etwas älter. Sie gleicht dem freundschaftlich-misstrauischen Verhältnis zwischen Schriftsteller und Verleger. Oder dem zwischen Kritiker und Redakteur. Der eine schafft das Werk, der andere schneidet es für die Öffentlichkeit zu. Und fast immer hat der erstere den zweiteren im Verdacht, nichts von seiner Arbeit zu verstehen.

Nie aber hatten Künstler mehr Anlass zur Angst als heute: Wo man hinsieht, sind Kuratoren am Werk. Sie kuratieren nicht nur Kunstausstellungen, sie kuratieren auch Tanz- und Theaterfestivals, sie kuratieren Modeschauen und Magazine. Sie treten immer zahlreicher auf: Die europäische Wanderbiennale Manifesta wurde letztes Jahr von gleich drei Kuratorenkollektiven kuratiert. Für "Based in Berlin" zeichnen insgesamt acht Kuratoren verantwortlich, aber worin genau ihre Arbeit bestand, ist in der Ausstellung selbst nicht recht zu erkennen.

Man weiß ja, was man selber macht, wenn man ins Museum geht, und man hat eine ungefähre Vorstellung davon, was ein Künstler macht. Aber was macht der Kurator?

Seit kurzem lässt sich das Kuratieren auch studieren, Hochschulen witterten die steigende Nachfrage und bieten Aufbaustudiengänge wie "Kuratieren und Kritik" in Frankfurt, "Kunstkritik und kuratorisches Wissen" in Bochum oder "Kulturen des Kuratorischen" in Leipzig. Als dort vor zwei Jahren die Seminare begannen, warnte im Aufzug ein Graffiti vor der "Kuratitis". Begreift man das Kuratieren, das ja im Lateinischen für "pflegen, heilen" steht, als Krankheit, lautet die Diagnose: Epidemie.

Früher wollten junge Menschen mit Geltungsdrang Musiker werden. Später dann DJ. Dann vielleicht Künstler. Heute, so scheint es, wollen plötzlich alle Kuratoren werden. Von Berufsbildern wie "kuratorische Assistenz" geht eine vornehme Sachlichkeit aus, die schon alleine für Legitimation zu bürgen scheint. Es klingt wissenschaftlich, seriös, jedenfalls: nicht nach dem so aus der Mode gekommenen Bild vom Künstler als verrücktem, nur sich selbst verantwortlichem Genie. Eine weihevolle Atmosphäre herrscht bei Pressekonferenzen, wenn die Kuratoren sprechen. Im symbolischen Raum der Kunst sind sie die Architekten der Utopie, die Direktoren neuer Erlebnis- und Verständigungsformen. So steht der Aufstieg des Kurators zur zentralen Glanzfigur des Kunstbetriebs für einen gesellschaftlichen Strukturwandel und ein Stück Mentalitätsgeschichte.

Das Format der Ausstellung ist untrennbar verknüpft mit der bürgerlichen Gesellschaft. Ausstellungen stellen Öffentlichkeiten her, sie machen übersehenes sichtbar und bilden damit immer auch ein Feld der Macht, in dem um Durchsetzung gerungen wird. Es ist keine nebensächliche Frage, wer bestimmt, was hier geschieht, wem wir unser Eintrittsgeld anvertrauen und, noch wertvoller, unsere Aufmerksamkeit.

Fragt man Beatrice von Bismarck nach der Geschichte des Kuratierens, geht sie zurück ins 16. Jahrhundert, als Künstler die von ihnen geschaffenen Ikonen in Prozessionen durch die Stadt trugen. Vor zwei Jahren gründete die Kunstwissenschaftlerin mit Thomas Weski den Studiengang "Kulturen des Kuratorischen" an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Öffentlichkeit herstellen, sagt Bismarck, geschah in der Kunst schon immer. Früher erledigten Künstler das selbst, mit den Ausstellungen der Impressionisten, des New English Art Club oder der Wiener Secession. Damals mussten sie nur an der Hassfigur des Kritikers vorbeikommen. Mit dem wachsenden Interesse an Gegenwartskunst drängte sich von der anderen Seite auch noch der Kurator hinzu, als Gatekeeper im Namen der Öffentlichkeit. "Wenn Du mit drei Künstlern sprichst, wirst Du nie eine Gemeinsamkeit finden", erklärt der Berliner Maler und emeritierte UdK-Professor Dieter Hacker. "Der Kurator stellt diese Gemeinsamkeit her." Aber er macht heute noch weit mehr.

Als Frank Wagner 1987 seine erste Ausstellung kuratierte, gab es den Kurator im heutigen Sinne noch nicht. Kuratoren arbeiteten fest in Museen und verwalteten die Sammlungen. Leute wie Wagner, der in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) wegweisende Themenausstellungen entwickelte, hießen Ausstellungsmacher. Auch dieser Begriff war erst seit 1969 in Mode, als Harald Szeemann in der Kunsthalle Bern die legendäre Schau "When Attitudes become Form" einrichtete. Minimal Art, Konzeptkunst und Institutionskritik hatten den Fokus vom auszustellenden Objekt auf den Raum und die Erfahrung selbst gelenkt. Was als Kritik begann, ermöglichte die Wende zur Erlebnisausstellung, wie sie die Tate Modern in London verkörpert und der heute alle großen Häuser verpflichtet sind. Mit ihr verlagerte sich die Autorschaft Richtung Kurator, so dass, wie Boris Groys schreibt, die klassische Arbeitsteilung zwischen Künstler und Aussteller kollabiert ist. Kuratoren sind Produkte und Agenten einer gewaltigen Mobilisierung.

Das Kunstsystem hat viele strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Finanzsystem, es ist ein Markt der Spekulationen ohne Rückbindung an feste Werte. Das Navigieren durch die halbironischen, halbfestlegenden, halbverbindlichen Halbsätze auf Eröffnungen und Messen verlangt einen Orientierungssinn ab, der zum Habitus des Kurators zwingend gehört. Er muss in dieser höfischen Gesellschaft mit ihrer Magie der Begriffe und ihrer Rhetorik der Durchlässigkeit sein Netzwerk pflegen, aufwerten und vergrößern.

In den Neunzigern traten auch Künstler zunehmend als Kuratoren in Erscheinung – wo alles voll mit Dingen steht, ersetzt das Arrangieren das Produzieren. Wie auch der Berater in der Wirtschaft ist der Kurator eine Figur der Wissensgesellschaft: Er dockt an, wo schon produziert wird, sammelt Wissen, stellt es zusammen und verkauft es weiter. Positiv gesprochen, in Beatrice von Bismarcks Worten: "Kuratieren bedeutet ein Zusammenbringen von Dingen, Menschen, Räumen und Diskursen, die vorher nicht verbunden waren."

Wurde früher den Schriftstellern und Künstlern zugemutet, die Schwingungen des Neuen zu erspüren, sind es heute die Kuratoren, die sich mit ihren Themen und Thesen vor die Künstler stellen. Sie machen nicht nur Atelierbesuche und lesen die neueste politische Theorie, sie verhandeln auch mit Politikern und Sponsoren über Räume und Gelder, und sie empfehlen Künstler an Sammler und Galeristen. Dabei ähneln sie Künstlern schon darin, dass, wenn man ihnen lauscht, man oft ganz fasziniert ist, aber hinterher nicht schlauer als zuvor. Es geht in der Ökonomie der Positionen nicht um Festlegungen, sondern um Ermöglichungen, und noch die Kritik der Macht kann hier die eigene Macht steigern.

Kuratoren verbinden die Autorität des Künstlers mit der des Wissenschaftlers, ihre Souveränität hat etwas technokratisches, und das erzeugt unter Künstlern ähnliche Ängste wie auf dem Operationstisch beim Auftritt des Anästhesisten. Auf e-flux, dem Online-Nachrichtendienst des Kunstbetriebs, entwarf der Künstler Anton Vidokle letztes Jahr das Schreckbild einer gezähmten künstlerischen Produktion von Lohnarbeitern, die nur noch die Inhalte für kuratorische Ideen liefern. Das Bild der kunstindustriellen Reservearmee lässt sich allerdings auch auf Kuratoren anwenden, deren Recherchearbeit sich eher selten in Geld auszahlt. Es entspann sich eine vielstimmige Debatte, in der auch Kuratoren wie Bismarck glänzten.

Überhaupt wird heute mehr geredet als früher, beobachtet Frank Wagner, der bis heute das Realismusstudio der NGBK leitet, ein Ruhepol in der allgemeinen Beschleunigung. Das kann aber auch dazu führen, dass sich Wagner in einem Atelier in Brooklyn wiederfindet, wo ihm die Künstlerin gleich einen ganzen "Diskurs-Rap" hinlegt, ihre Referenzen aufzeigt und Foucault und Agamben zitiert. Da wird dann auch ein Kurator plötzlich nervös.

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