„Wolken sind auch nicht für immer da“

Tomás Saraceno über die Entstehung seiner Ausstellung „Cloud Cities“ im Hamburger Bahnhof. Auszug für die monopol-Rubrik „Wie haben Sie das gemacht, Tomás Saraceno?“

monopol, 21. September 2011

„Am Hamburger Bahnhof finde ich interessant, dass hier früher Züge hielten, denn in meiner Arbeit geht es auch um Mobilität. Wenn ich höre, dass sich unser Energieverbrauch ändern muss, klingt das meistens negativ: Schalte die Glühbirnen aus, höre auf zu reisen. Dabei ist es eine großartige Herausforderung, neue Wege des Reisens zu finden, die vielleicht ein anderes Bewusstsein von Zeit und Geschwindigkeit erfordern. Wenn "Cloud City" schon Realität wäre, die schwebende Stadt, an der ich arbeite, dann wäre ich heute, statt mit dem Zug zu fahren, mit meinem fliegenden Studio gekommen.

In Berlin zeige ich einige meiner "Biosphären" in verschiedener Größe. Die Hüllen sind aus verschiedenen Kunststofffolien. Aber wenn mich jemand nach dem Material fragt, sage ich, sie sind aus Luft. Die Kugeln bestehen zu 90 Prozent aus Luft, die Luft, die wir atmen, Luft in verschiedenen Temperaturen.

Die große Kuppel am Ende der Halle heißt "Observatory". Sie hat ein Luftkissen in sieben Meter Höhe, auf dem man allerdings nicht hüpfen kann, sonst sinkt man ein. Du musst auf die Bewegungen der anderen reagieren, und wenn jemand die untere Ebene betritt, entweicht oben Luft. Man muss also ständig im Dialog bleiben.

Als wir "Observatory" 2008 bauten, war keine Firma in Europa und Nordamerika bereit, die Verantwortung für das Luftkissen zu übernehmen. Es gibt diesen Widerstand gegen Experimente. Wir wussten ja selbst nicht, ob es funktioniert. Aber zusammen mit einer argentinischen Firma konnten wir es beweisen, und als wir jetzt ein neues Kissen brauchten, weil das alte durchgerieben war, fanden wir einen Hersteller in England.

So entwickeln sich die meisten meiner Arbeiten: Ein Haufen Verrückter experimentiert umher und nach und nach entsteht daraus eine neue Realität.

Einige der Arbeiten waren schon mal ausgestellt. In der großen Halle ergeben sie aber eine neue Gesamtkomposition. Teils ist die Form verändert, eine Sphäre hat jetzt Wasserleitungen. Und wir haben noch nie so viele Pflanzen eingebunden, die in den Kugeln und auf den Hüllen wachsen.

Die Tillandsia Usneoide stammt aus der selben Familie wie die Ananas. Sie wäre perfekt für fliegende Gärten, denn sie ist sehr leicht, hat keine Wurzeln und zieht alle Nährstoffe aus der Luft. Sie braucht eigentlich mehr Feuchtigkeit, deshalb besprühen wir sie regelmäßig mit Wasser. Als Kind habe ich die Tillandsia in Buenos Aires an den Stromkabeln wachsen sehen und zuhause gesammelt.

Die Kugel mit den bunten Folien ist von Seifenblasen inspiriert. Sie ist ein Vorgriff auf meine nächsten Kugeln, an denen ich bunt laminierte Solarzellen anbringen werde, nach einem eigenen Patent, das ich frei zur Verfügung stelle.

Als die vorige Ausstellung von Richard Long vorbei war, nahmen wir die Rückwand der Haupthalle heraus und legten die Glasfront frei – Stück für Stück, um zu sehen, wie das Licht wirkt. Es wirkte wunderbar: Hinter den Biosphären ist jetzt der Himmel zu sehen! Mit einem Wetterballon bestimmte ich grob die Positionierung der Kugeln, dann planten wir mit 3D-Modellen am Computer, dann mit den echten Arbeiten, immer hin und her. Es ist wichtig, im realen Raum zu arbeiten. Hier gibt es viel mehr Dimensionen, etwa die Akustik.

Ich frage auch von Anfang an andere Leute um ihre Meinung, nicht nur meine Assistenten, auch die Techniker oder die Aufseher. So wird die Ausstellung zum Prozess, den viele beeinflussen. Vielleicht verändert sie sich noch nach der Eröffnung. Ich habe auch schon mal nach der Hälfte der Laufzeit Dinge bewegt oder ausgetauscht. Ich mag diese dynamische Form der Wahrnehmung und der Präsentation. Wolken sind auch nicht für immer da. Sie bewegen sich, verändern ihre Form, formieren sich neu und ziehen woandershin.“

adkv - art cologne preis
für kunstkritik 2012

Will-Grohmann-Preis
der Akademie der Künste 2018