Zur Lage der Region

Eine Überblicksschau zu israelischer Videokunst in Haifa

monopol, 15. Oktober 2010

Zwölf Köpfe hängen in einer Fotowand, Gefangene einer ausgeblichenen Regenwaldszene. Schwerfällig begibt sich die Kamera auf Kreisfahrt und bringt die Rückseite ins Bild, wo die halb nackten Statisten aufeinander abgestützt im Gestell verharren.

Mit seiner Installation „Multipillory“ schafft Gilad Ratman eine absurde Spannung. Der Kamerawagen knarzt wie ein Folterinstrument und erinnert an die Herkunft der Fotowand vom mittelalterlichen Pranger. Wieder in der Frontansicht, pausiert die Kamera, stumme Aufforderung an den Betrachter: Jetzt darf verhört werden oder geknipst oder geschossen oder gelacht.

Wer eine Reise durch Israel und das Westjordanland hinter sich hat und unter dem Eindruck von Mauern, Checkpoints und Verbitterung auf beiden Seiten steht, sieht in allem einen Kommentar zur Lage der Region. Da werden dann auch die verschlungenen Lianen auf der Fotowand zu Stacheldraht, und die Kreisstruktur von Raum und Dramaturgie zum Sinnbild einer festgefahrenen Situation ohne Vor und Zurück.

Dabei funktioniert Ratmans antinarratives Schaustück, im Raum auf die gezeigte Fotowandkonstruktion projiziert, als Echokammer für die ganze Post-9/11-Epoche: Mit barockem Gestus beschwört es das Ineinander von Freiheit und Zwang, Witz und Grausamkeit. Ein Höhepunkt von "Overview", der Überblicksschau zur israelischen Videokunst der letzten zehn Jahre. Nach einer Filmreihe in der Tate Modern versteckt sie sich im kleinen Kunstmuseum der Hafenstadt Haifa, kuratiert von Sergio Edelsztein, als Direktor des Center of Contemporary Art in Tel Aviv selbst aktiver Mitgestalter des Geschehens.

Beschreibt der Begleittext eine Hinwendung zum Privaten in den Nachwehen der zweiten Intifada, will Edelszteins Auswahl das nicht recht untermauern. Gut, da ist Keren Cytters Beziehungsspiegelkabinett „Dreamtalk“; da ist der komische, zwischen Berlin und Tel Aviv springende Dialog Guy Ben-Ners mit sich selbst; und eine weltvergessene Effektorgie von Ran Flavin. Aber sonst sieht zumindest der europäische Blick fast überall Konflikte.

Durch Nira Peregs Kamera wird das Errichten von Straßenabsperrungen orthodoxer Juden für das Sabbatgebet zum eigensinnigen Theaterstück. Die raffinierte Klanggestaltung isoliert den Wahrnehmungsfokus der Akteure: das Rattern der Gitter; Schritte; Autohupen. Eine subtile Illustration des Ausblendens aller Realitäten jenseits der eigenen Sicherheitsbedürfnisse.

Video, die These drängt sich auf, ist das am besten geeignete Medium, um die israelisch-palästinensische Gegenwart zu verhandeln. Umgekehrt scheint die israelisch-palästinensische Gegenwart besonders gut geeignet, Grundlagen des Mediums Video zu verhandeln: Beruhen doch beide auf strukturellen Assymetrien – der eine hat die Technik (die stärkeren Waffen; die Kamera), der andere muss reagieren. Ruti Sela setzt die Kamera ein wie eine Waffe, im Nahkampf, in dem Realität direkt ausgehandelt wird. Ähnlich Avi Mograbi, der sich in seiner „Details“-Serie in Machtproben mit Soldaten begibt.

In den hypnotischen Bildern Nir Evrons und Yael Bartanas kristallisiert sich unbewältigte Geschichte: bei Evron in einem auf dem Ölberg schlummernden jordanischen Hotel, bei Bartana in der hybriden Fantasie einer jüdischen Rückkehr nach Polen, die Zionismus mit NS-Ästhetik zusammen zwängt.

Leicht und handlungsorientiert dagegen die Satire von Yossi Atia und Itamar Rose: Sie fantasieren mit Arabern die Einstaatenlösung Judeo-Arabia, entwerfen eine Fahne, suchen diskriminierbare Minderheiten (Homosexuelle und Russen), Feinde (USA) und Verbündete (Hamas). Und führen vor, wie Kunst noch die größte Konfrontation, Isolation und Fremdheit präzise brechen kann.

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für kunstkritik 2012

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